Die Alten Germanen

Das Jahr 2007 neigt sich dem Ende. Konkret – es ist Oktober. Die technischen Entwicklungen der letzten Jahre machen es relativ leicht, Geschichten in Schrift und Bild festzuhalten. Computer und digitale Aufnahmegeräte sorgen dafür, dass man mit einem relativen Minimum an Zeitaufwand Dinge ziemlich einfach dokumentieren kann. Deshalb ist mir derletzt der Gedanke gekommen, dass es gar nicht besonders gut wäre, wenn „Die Alten Germanen“ später einmal so sang- und klanglos in den Abgründen der ewigen Zeiten verschwinden würden, als hätte es sie nie gegeben. So ist nun der Plan in mir gereift, über das Leben und Wirken dieser Wickersdorfer Ausnahmeerscheinung zu schreiben und das geschriebene Wort, so gut es geht, mit Bildern zu untermalen. Natürlich bin ich mir nicht ganz sicher, ob alles, was ich schreibe, tatsächlich der absoluten Realität entspricht, aber ich werde zumindest versuchen, in diesen Aufzeichnungen nichts anzuführen, was sich nicht tatsächlich in der beschriebenen oder einer ähnlichen Form zugetragen hat. Trotzdem sollte der Leser stets und ständig im Auge behalten – Erinnerungen können trügerisch sein.
„Die Alten Germanen“ sind eine Band. Reine Amateure, die das Musizieren lediglich als Hobby und sinnvolle Freizeitgestaltung ansehen. Jegliche professionelle Ambitionen sind Ihnen bisher stets fremd gewesen. Es kommt aber schon manchmal auch vor, dass man ganz ungezwungen darüber plaudert, was wohl wäre, wenn!
Diese Plaudereien kann man sicher unter der Kategorie „Albernheiten erwachsener Männer“ abtun, trotzdem kann man ihnen diesen besonderen Reiz des „was wohl wäre, wenn …“ nicht absprechen.
Musikalisch orientieren sich die vier Akteure, die alle vor drei oder vier Jahren ihren 50. Geburtstag feierten, an der Rock- und Bluesmusik der späten 60-iger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Ausnahmen von diesem Schema kommen aber durchaus vor. In der genannten Stilrichtung erkennt man die Musik wieder, von der die jugendlichen „Alten Germanen“ beim Erwachsen werden begleitet wurden. An dieser Musik hängen Erinnerungen, die wohl zu den schönsten ihres Lebens gehören. Diese Musik führt in die Zeit zurück, in der die Story von den Alten Germanen ihren Anfang nahm.

 

1. Kapitel. Wie alles begann

Als Gründungsjahr kommen 1967 oder 1968 in Betracht. Genauer kann ich mich in dieser Frage nicht festlegen. Alles begann damit, dass ein paar Wickersdorfer Jugendliche die Idee hatten, sich Gitarren nach „Schnittmuster“ zu bauen. Mit dem Bau wurde sogar begonnen – vollendet wurde solch ein Instrument allerdings nie. Bei den genannten Jugendlichen handelte es sich um Björn Munzert (Munzel), Peter Krabiell (Jagger) und Reinhardt Schöler (Pulver). Einer, der sein Instrument nicht selbst bauen sollte, war Andreas Linz (Linzi), dem die Rolle des Schlagzeugers zugedacht wurde. Einige Tage, vielleicht auch ein paar Wochen nachdem diese anfänglichen Pläne geschmiedet waren, kam noch Karl–Heinz Bleyer (Eddy) ins Gespräch. Man war sich einig geworden, dass ein Orgelspieler das ganze Projekt erheblich aufwerten würde. Da es sich bei besagtem Eddy und dem Schreiber dieser Chronik um ein und dieselbe Person handelt, tritt er in den folgenden Seiten zum einen in der dritten Person (er oder Eddy) als Mitglied der Band und zum anderen in der ersten Person (ich) als Schreiber auf. Ich hoffe, man wird das problemlos auseinander halten können.

Irgendwann, ein genaues Datum lässt sich hier nicht mehr ableiten, begann die Band (damals sicher noch ohne Namen) tatsächlich zu probieren. Gekaufte Elektrogitarren, die über Kofferradios verstärkt wurden, hielten den ersten Versuchen tapfer stand. Dabei hatte sich Munzel der Rhythmusgitarre und dem Gesang verschrieben, Jagger spielte Bassgitarre und Pulver sollte so eine Art Sologitarre zupfen. Auch Linzi hatte von seinen Eltern ein Schlagzeug bekommen. Eddy musste warten, bis er im Frühjahr 1968 zur Jugendweihe genug Geld für seine „Staubsaugerorgel“ geschenkt bekam. Ein Gerät, bei dem mittels eines Staubsaugergebläses über die Tastatur Stimmblättchen (wie bei einer Mund- oder Ziehharmonika) zum Ertönen gebracht wurden. Solch Technik, es ist kein Witz, gab es anno dazumal zu kaufen.

Viel haben die fünf in dieser Anfangsphase einigen Schülern der EOS zu verdanken. Da gab es nämlich welche, die sich mit der Handhabung von Gitarre & co doch etwas besser auskannten, als die ehrgeizigen „möchte gern – Rockstars“. Also saßen in diesen Tagen oft die Wickersdorfer zusammen mit den Schülern irgendwo, meist in einem Klassenraum der Dorfschule, und versuchten, ihren Instrumenten echte Musik zu entlocken. Zumindest muss das so gut funktioniert haben, dass ihnen jedenfalls nicht schon nach den ersten Wochen endgültig die Lust verging. Soweit es heute nachvollziehbar ist, handelte es sich bei den Schülern um die Herren Reichel (Gitarre), Mitzenheim (Bassgitarre) und Schmidt (Schlagzeug). Es mag auch durchaus sein, dass verschiedentlich noch andere Bewohner des Internats ihr Wissen und Können an die jungen Rock – Eleven weitergaben. Es fällt nach so langer Zeit aber natürlich sehr schwer, hier unwiderrufbare Angaben zu machen. Eddy hatte während einer kurzen Phase sogar das Glück, vom Musiklehrer der EOS, Robert Dietzel, in die Geheimnisse der Tasteninstrumente eingeweiht zu werden. Dummerweise kündigte Eddy nach nicht allzu langer Zeit das fruchtbare Lehrverhältnis von sich aus auf, weil es ihm so vorkam, als hätte er schon genug gelernt. Mit den Jahren wurde ihm allerdings sehr schmerzhaft bewusst, dass es sich dabei um eine kolossale Fehleinschätzung handelte. Unter der Schülerschaft fand Eddy niemanden, der ihn bei seinem Streben nach vollkommener Meisterschaft auf seiner Staubsaugerorgel hätte unterstützen können. Andererseits brachte er genug musikalisches Talent mit, um immer wieder mal eine kleine Einlage am Bass oder am Schlagzeug geben zu können, ohne dass er dafür erst ewig lange hätte üben müssen. Bei einigen Liedern steuerte er mit seiner Stimme eine Art Background – Gesang bei.

Wie lange genau die Partnerschaft zwischen Oberschülern und Dörflern bestand, kann ich heute nicht mehr sagen, aber ich denke, ¼ bis ½ Jahr hielten sie bei den Proben einen recht engen Kontakt. Unter Umständen könnte diese Zeit aber auch um einiges länger gedauert haben. Die Schulleitung der EOS war von dieser Liaison sicher nicht sonderlich erbaut, es handelte sich bei der Musik, die Die Alten Germanen machten, schließlich nicht um Kunst mit kulturellem Wert im sozialistischen Sinne. Ganz im Gegenteil – alles, was vom Westen zu uns herüberwehte, war nach Ansicht der führenden Partei der Arbeiterklasse Subkultur und nur darauf ausgerichtet, die sozialistische Ordnung zu untergraben.  Insofern muss man noch heute davon ausgehen, dass gewisse Leute diese damaligen Aktivitäten mit großem Misstrauen beobachteten. Dass sich heranwachsende Elitekader, als was die Schüler der Oberschule damals gemeinhin galten, sich in derlei Aktivitäten verstricken ließen, wurde womöglich als noch skandalöser gewertet.

Nicht genug loben kann man deshalb die Toleranz, mit der Dorfschullehrer Hans Krabiell die junge Band gewähren ließ. Es ist anzunehmen, dass er während dieser Zeit sich manche Kritik von Kollegen und auch Vorgesetzten derentwegen gefallen lassen musste. Zudem wohnte er ja in der Dorfschule und es ist deshalb auch nicht ganz auszuschließen, dass Hans und seine Frau Irmgard durch die teilweise recht lautstarke Übungstätigkeit mitunter in ihrer wohlverdienten Feierabendruhe ziemlich beeinträchtigt wurden. Ich will nichts beschönigen, aber einer der Gründe (könnte) sein, dass Jagger, der Bassgitarrist, Hans’ und Irmgards jüngster Sohn war. Doch das ist natürlich reine Spekulation.

Nicht zu vergessen ist natürlich das Verhältnis eines weiteren Zeit- und Alters-genossen zur neu gegründeten Band. Wolfgang Nicolaus, genannt Nippel, war wahrscheinlich derjenige, der ursprünglich für das Interesse an westlicher Musik unter der Wickersdorfer Jugend verantwortlich zu machen ist. Als eingefleischter BEAT – Fan brachte er schon sehr frühzeitig die Gedanken an Beatles, Stones, Kinks & co in Umlauf. Für ihn muss der Umstand, sich im unmittelbaren Umfeld einer – wenn auch ziemlich jungen und unbedeutenden – „Beatgruppe“ zu bewegen, das absolute Highlight gewesen sein. Da er selbst allerdings nie ein Instrument in die Hand nahm, um damit zu musizieren, wurde er von der Band de facto zum Chefmanager ernannt und begleitete sie fortan so ziemlich bei allen ihren Unternehmungen. Viel zu managen hatte er dabei allerdings nicht. Nippel war um ein weniges älter als die fünf jungen Musiker. Er starb Ende der 80-iger Jahre viel zu früh und unter dramatischen Umständen. Sein Andenken halten Die Alten Germanen aber in Ehren.

Wichtig für die gesamte Entwicklung der Band war die Verbesserung der technischen Voraussetzungen. So dauerte es gar nicht lange, bis die Kofferradios durch echte Verstärker ersetzt wurden. Deren erster dürfte eigentlich Eigentum der EOS gewesen sein und blieb irgendwie durch die Schüler bei den Wickersdorfern hängen. Ein zweiter wurde ihnen von Linzis Halbbruder Dani verehrt. Dieser studierte in Erfurt irgendwas mit Elektronik und hatte diesen Verstärker als Prüfungsstück selbst gebaut. Auch Lautsprecherboxen und Mikrofonständer nannten Die Alten Germanen bald ihr Eigen. Einige dieser Sachen bauten ehemalige Schulkameraden von Munzel an ihren Lehrstellen. Pulver, der im VEB Carl Ceiss in Saalfeld bereits  seine Ausbildung im Elektrofach begonnen hatte, war technisch schon so versiert, dass er Eddys Staubsaugerorgel demontierte, ein Mikrofon einbaute und sie wieder zusammensetzte. So ließ sich zweckmäßigerweise auch diese ohne Probleme an einen Verstärker anschließen. Und so, wie sich das technische Equipement vervollständigte, nahm auch das Repertoire der Band zu. Man sollte mich heute nicht fragen, wie das alles damals wohl geklungen haben mag. Tatsache ist, dass die Alten Germanen irgendwann damit begannen, vor Publikum aufzutreten. Erstaunlicherweise ernteten sie für ihre Darbietungen auch durchaus immer wieder Applaus.

Ihren allerersten wirklich offiziellen öffentlichen Auftritt kann man mit Sicherheit auf den Frühsommer 1968 datieren. Es waren noch keine großen Ferien. Linzi und Eddy waren Schüler der 8. Klasse (also 14 Jahre alt) und gingen in Kleingeschwenda zur Schule. Im Saal der Kleingeschwendaer Kneipe fand an einem dieser Vorferientage das Fest der jungen Künstler, eine ordentlich durch die Schule organisierte Veranstaltung, statt. Auch Die Alten Germanen hatten sich natürlich ordentlich auf diese Gelegenheit vorbereitet und so um die 2 oder 3 Titel einstudiert. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass es sich damit zu dieser Zeit um ihr gesamtes Repertoire handelte. Ich habe keinerlei Zweifel, dass vielen unserer Mitschüler, die ja den Löwenanteil des Publikums ausmachten, gar nicht so schlecht gefiel, was da auf der Bühne abging. Und ehrlich gesagt, ich persönlich kann mich nicht an das erinnern, was manche Leute über diesen, den ersten großen Auftritt der Alten Germanen behaupten:

„Einer der Lehrer, Walter Weidlich aus Wittmannsgereuth – wir Schüler nannten ihn liebevoll Karo (warum auch immer) – stand mitten während des Programms der Band unter Protest auf, verließ den Saal und drehte die Sicherung heraus.“

Man muss unumwunden gestehen, dass eine solche Handlungsweise zu dieser Zeit absolut denkbar gewesen wäre. Einen unumstritten fest dokumentierten Beweis für diesen Vorgang gibt es allerdings meines Wissens nicht.

Die Zeit verging und die fünf Jungs entwickelten im Laufe derselbigen langsam aber sicher ein ansehnliches Repertoire. Die gemeinsamen Proben mit ihren Freunden aus der EOS wurden seltener. In der Handhabung ihrer Instrumente wurden sie sicherer. Noten oder Originaltexte standen ihnen selbstredend nur sehr selten (wohl eher gar nicht) zur Verfügung. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als die Lieder, die sie lernen wollten, zu hören und sie dann nach Gehör zu spielen. In den meisten Fällen klappte das eigentlich ganz gut. Munzel hatte schon nach sehr kurzer Zeit die Fähigkeit entwickelt, englisch klingende Texte einfach zu improvisieren. Er hat dieses unglaublich wertvolle Talent übrigens bis heute nicht verloren. Auf diese Art und Weise hielten sie sich dann eine ganze Weile ganz gut über Wasser. Zumindest hatten sie einen regelmäßigen und sogar sinnvollen Zeitvertreib. Wobei wirklich geplante Auftritte an und für sich ziemlich selten waren. Andererseits fand sich oft auch zu den Proben Publikum ein. Speziell einige junge Damen aus der EOS interessierten sich für das Treiben der fünf jungen Männer. Wobei man sagen muss, dass dieses Klientel im Laufe der Zeit natürlich auch wechselte. Nebenbei, chronologisch lassen sich diese Vorgänge leider nicht sehr genau zuordnen, hielten die fünf nämlich auch gute Beziehungen zur Meuraer Jugend. Insbesondere waren auch da zeitweise ein paar Mädchen, denen es mit den Wickersdorfer Jungs ganz gut gefiel. Die Meuraer Jungs hatten damit keinerlei Probleme und halfen sogar gelegentlich, auf Handwägen und ähnlichen Utensilien Instrumente und Anlage zwischen Wickersdorf und Meura hin und her zu transportieren. Regelrecht legendär war ein Auftritt, nach dem sie (ein paar Mädels waren auch dabei) in einer Feldscheune Nachtquartier bezogen. Sie hatten sich so gut im Heu oder Stroh, oder was immer da auch herumlag, verkrochen, dass nicht einmal der Bauer, der frühmorgens zur Arbeit kam und erst einmal in die Ecke pinkelte, sie bemerkte.

Wenn ich mich recht erinnere, dürften sie in Meura wohl zweimal zu ganz verschiedenen Anlässen und in ebenso verschiedenen Lokalitäten gespielt haben. Die wahrscheinlich offiziellere Aktion war dabei der Auftritt zum sogenannten Dengeln auf dem Saal der Gaststätte „Zu den Meurasteinen“. Dieses etwas außergewöhnliche Volksfest dürfte es außer in Meura schätzungsweise nirgendwo anders noch einmal geben. Ob sich diese ziemlich eigenwillige Tradition bis in unsere heutigen Tage erhalten hat, ist mir, ich muss es offen heraus gestehen, leider nicht bekannt.

Klassenfeiern, meist waren es die Klassen der Bandmitglieder, waren auch ein ziemlich beliebter Anlass, die Gruppe in Aktion zu versetzen. Dabei verschlug es sie sogar zweimal nach außerhalb der Saalfelder Höhe. Das erste Mal lud sie Munzels ehemalige Saalfelder Schulklasse in ihre Schule nach Saalfeld ein. Das zweite Mal schafften sie es sogar bis ins Kreiskulturhaus nach Schwarza. Dort spielten sie für die Klasse, mit der Eddy damals seine Lehre als BMSR – Techniker absolvierte.

Auf dem Territorium der Saalfelder Höhe standen die Alten Germanen außer in Wickersdorf wohl einige mal im Kulturhaus in Bernsdorf und, ich glaube mich dunkel zu entsinnen, einmal auf dem Saal des Gasthauses Pröschold „Zum Kastanienbaum“ in Volkmannsdorf auf der Bühne. Diesbezüglich sollte man mich jetzt aber nicht nach den jeweiligen Anlässen fragen. Ich bin ohnehin der Meinung, dass das auch gar nicht von so gravierender Wichtigkeit ist. Eine in der Dorfschule Wickersdorf stattgefundene Veranstaltung hat dagegen fast so etwas wie Kultstatus erreicht. Es handelt sich dabei um einen Schul- oder Jugendfasching, bei dem auch zahlreiche Gäste, z.B. aus Meura anwesend waren. Was diesen Fasching so besonders macht, ist der Umstand, dass er unwiderlegbar dokumentiert wurde. Er wurde nämlich von Hans Krabiell in einigen Einstellungen mit der 8mm – Kamera aufgenommen. Dieser Film existiert sicher noch. Ich müsste mich doch sehr täuschen, wenn es nicht so wäre. Es sind mit Sicherheit die einzigen Filmaufnahmen, die die junge Band in voller Aktion zeigen.

Auf die Dauer blieb es aber schließlich auch nicht aus, dass sie mitunter sogar ganz offiziell in der Oberschule auftreten durften. Mit Sicherheit gab es dort auch ganz strikte Gegner solcher Veranstaltungen, diese konnten wohl aber dem Ruf der Jugend nach etwas Abwechslung vom sozialistischen Lernalltag letztendlich doch nichts wirklich Wirksames mehr entgegen setzen. Selbst wenn sich die Musik der Alten Germanen zur damaligen Zeit auch gar nicht in die anerkannten Grenzen musikalischer Kultur des Arbeiter- und Bauernstaates einfügen ließ. In das Bild des politisch – kulturell blütenreinen Vorzeigeobjektes „EOS Wickersdorf“ passte dieser westorientierte Beat in jenen Jahren ohne Frage überhaupt nicht hinein. Dass die (aufsässigen) Jungs trotzdem spielen durften, kann man wohl auch heute noch als sicheres Indiz dafür ansehen, dass sie zumindest bei einem nicht geringen Teil der Oberschülerschaft mit samt ihrer Musik doch recht beliebt waren.

Dies alles wirkte sehr ermutigend; mehr und mehr unzufrieden stimmte sie allerdings die Situation, keinen eigenen Raum zum Proben zu haben. Retter in der Not war auch hier wieder Hans Krabiell. Das Dorfschulgebäude hatte nämlich einen Keller, in dem über viele Jahre hinweg Kohlen gelagert wurden. Diesen Zweck hatte dieser Raum aber irgendwann einmal verloren, warum auch immer. Hans machte den jungen Musikussen also das Angebot: „Räumt auf, dann könnt ihr euer Zeug dort unten hinstellen.“ Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Eine Sauarbeit war es, den Jahre alten Kohlendreck durch ein etwa 60 mal 60 cm großes Loch aus dem Keller zu schaufeln, die fünf jungen Kerle (mit Nippel waren sie sogar zu sechst) ließen sich davon aber nicht abschrecken.

Die Bretter für den Fußboden mussten sie stehlen. Konrad Höfer hatte seine alte Biberfarm im Telegrafental außer Betrieb genommen. Da gab es Bretter genug. Wie Strauchdiebe, heimlich, still und leise, transportierten sie diese am heller-lichten Tage ab. Ob nun wirklich niemand dieses ungehörige Treiben bemerkte, oder ob man sie halt stillschweigend gewähren ließ – es wurde ihnen jedenfalls von niemandem Einhalt geboten. Der Bretterboden gelang einwandfrei. Im vorderen Teil des Raumes, wo später dann auch ein alter Kanonenofen stand, bauten sie eine Schicht Beton ein. Wie der Fundamentschrift zu entnehmen ist, war auch der Beton geklaut. Ich weiß allerdings nicht mehr, von wo.

Apropos Fundamentschrift. Wer geschrieben hat, was da steht, weiß ich nicht mehr. In einer Bierflasche versenkten wir das Schriftstück jedenfalls im Beton. Wie die Flasche verschlossen war – auch daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Fest steht, die alte Dorfschule brannte im Sommer 1974 als Wohnhaus der Familie Gudrun Bärschneider, Krabiells waren inzwischen ausgezogen, ab. Auf den Trümmern begann 1978 die Familie Uli und Ute Taubert, geb. Bleyer (meine Schwester), ihrerseits ein Wohnhaus zu errichten. Während der Fundamentarbeiten zerschlug ich mit einem Bello herumliegende Betonstücke, ohne an etwas Besonderes dabei zu denken. Selbst als völlig überraschend eine Bierflasche auf dem Platz herumkullerte, machte ich mir noch keine Gedanken darüber, wo die wohl so plötzlich herkam. Erst als ich die Flasche aufhob und sie mir genauer betrachtete, wusste ich auf einmal, was ich da ans Tageslicht befördert hatte.

Top-2

Mit ihrem Keller hatten die Jungs es gar nicht so schlecht getroffen. Die einen ¾ m dicken Feldsteinmauern boten einen gewissen Schallschutz nach draußen. Dieser war groß genug, um genervte Wickersdorfer vor der „unzumutbaren“ Musik hinreichend zu schützen. Trotzdem ließ er genug durchdringen, dass diejenigen es mitbekamen, auf deren Besuche die nach körperlicher Zuwendung und Zärtlichkeit hungerten Musiker jederzeit hofften, wenn sie mit Proben zugange waren. Bei diesem Personenkreis handelte es sich, wie man sich nun also denken kann, stets um diverse Freundinnen, die ihrerseits Liebe und Zuneigung bei den Mitgliedern der jungen Band suchten. Es kam also nicht selten vor, dass sich außer der Band auch ein bestimmter Kreis junger Mädchen im Keller aufhielt und das war, besonders bei gedämpftem Licht, gar nicht mal so unromantisch.

Vor allem aber machte dieser Keller sie von allerlei äußeren Umständen völlig unabhängig. Die Jungs konnten kommen und gehen, wann und wie sie es gerade brauchten. Und sie mussten nicht ständig ihre sogenannte Anlage auf- und wieder abbauen. Im Keller konnte das Zeug alles stehen bleiben, wo es stand. Auch ihre Instrumente brauchten sie nicht zwingend immerzu hin und her schleppen. Mit der Einrichtung des Kellers erreichte die Jugendphase der Alten Germanen dann wohl auch ihre Blütezeit. Durch die Möglichkeit, häufiger zu proben, wuchs ihr Programm schließlich so weit an, dass sie durchaus ein paar Stunden spielen konnten, ohne sich wiederholen zu müssen. Sie waren eigentlich wirklich gut drauf. Wer weiß, was noch aus ihnen geworden wäre, wäre es nicht so gekommen, wie es eben kommen musste.

Ihr definitiv letztes Mal spielten sie im Kulturhaus in Bernsdorf in der bisher beschriebenen Zusammensetzung. Wenn mich nicht alles täuscht, waren zu diesem Anlass doch ganz schön viele ihrer Freunde gekommen. Obwohl der Anlass keineswegs in irgendeiner Weise freudiger Natur gewesen wäre. Denn sie wussten, es würde das letzte Mal für sie sein, auf einer Bühne zu stehen und gemeinsam Musik zu machen. Die Woche drauf zog nämlich Munzel in der Kaserne der Bereitschaftspolizei in Rudolstadt/Cumbach ein, um seinen Ehrendienst bei der NVA anzutreten. Für Die Alten Germanen war das das Aus. Zumal der Rest der Gruppe ebenfalls damit rechnen musste, irgendwann eingezogen zu werden. Wenn mich nicht alles täuscht, sollte Munzel kurzfristig durch Carmen Vögele aus Volkmannsdorf ersetzt werden. Gitarre spielen konnte die junge Dame wohl. Ob sie Munzels zungenbrecherisches englisch – Kauderwelsch auf die Reihe gebracht hätte, bleibt zu bezweifeln. Eddy war jedenfalls nicht dazu in der Lage. Ein- oder zweimal war Carmen zum Probieren mit in Wickersdorf, um die Sache weiter am Laufen zu halten. Leider passte aber alles nicht so richtig zusammen. Und so schien das Schicksal der Alten Germanen mit diesem letzten Auftritt vor Munzels Einberufung besiegelt zu sein.

 

Bei den beiden folgenden Bildern könnte es sich durchaus um die ältesten Fotos handeln, die es von der Band gibt. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, wurden sie von Kuno Rosenbusch, einem Klassenkameraden von Munzel und Jagger, aufgenommen. Sie müssen auf jeden Fall nach Pfingsten 1968 entstanden sein, da Eddy hier schon mit seiner Staubsaugerorgel herumhantiert. Er hatte diese nämlich von seinem Jugendweihegeld finanziert. Die Jugendweihe war, glaub ich, traditionsgemäß immer so um Pfingsten herum. Der Schauplatz ist das spätere Baugrundstück der Familie Krabiell oberhalb der Dorfschule.

Wenn auch schlecht zu erkennen, sind auf den Bildern zu sehen:

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Links außen – Jagger

Zweiter von links – Pulver

Dritter von links (vorne sitzend) – Eddy

Vierter von links (hinter dem Schlagzeug) – Linzi

Rechts außen – Munzel

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links – Munzel

Zweiter von links (hinter dem Schlagzeug) – Linzi

Dritter von links – Eddy

Vierter von links (Hintergrund) – Pulver

rechts – Jagger

Ansatzweise wird auf den Bildern wohl deutlich, dass die Jungs langsam daran dachten, sich die Haare länger wachsen zu lassen. Das war zu dieser Zeit nicht einfach und stieß auf vehementen Widerstand im öffentlichen Leben, in der Schule und nicht selten auch im Elternhaus.

 

Das nächste Bild wurde schätzungsweise ein paar Wochen bis ein paar Monate später in Meura aufgenommen.

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v.l. Pulver, Jagger, Munzel, Linzi, Eddy

 

Und gleich noch ein paar Beispiele älterer Fotos. Bei einigen davon wird wohl ziemlich deutlich, dass sich die langen Haare am Ende doch durchsetzten.

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v.l. Pulver, Jagger, Nippel

 

Top-6

v.l. Eddy, Pulver, Jagger, Linzi