Mit hoher Anziehungskraft

Mit hoher Anziehungskraft

Das neue Backhaus in Wickersdorf scheint ein Gebäude mir sehr hoher Anziehungskraft zu sein. Die Bäckergehilfen drücken sich quasi gegenseitig die Klinke in die Hand, wie es früher für Staubsaugervertreter typisch war. Während seit bereits zwei Jahren die Familie Patzer immer wieder die Backstube aufsucht, um sich an der Herstellung von leckerem Brot und Stollen zu messen, drängte am 21. Oktober die Familie Watoro nach vorn, um ebenfalls einmal eine Lehrstunde im Backen von Brot über sich ergehen zu lassen. Genau wie vereinbart, wenige Minuten nach 10.00 Uhr vormittags, betraten die 4 Watoros in trauter Eintracht das Backhaus. Haiko und ich hatten sie bereits erwartet.

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Das Vorheizen des Backofens war Haiko diesmal recht gut gelungen. Als wir die Asche aus der Röhre zogen, ließ die Temperatur große Hoffnung zu, dass wir zur rechten Zeit mit einer angemessenen Hitze im Ofen rechnen konnten.

Nachdem die Watoros eingetroffen waren, machte ich mich auf den Weg, um in der Lebensgemeinschaft die Backschüsseln zu holen. Nachdem das erledigt war, packte Haiko sich Verena und Stephan, die Kinder von Heinz und Kerstin Watoro, ins Auto, um in der Bäckerei Wagner den Teig zu holen. Während sie unterwegs waren, konnten die Eltern und ich zum Zeitvertreib ein wenig geistreiche Konversation betreiben. Die Ofentemperatur entwickelte sich absolut in unserem Sinne, deshalb warteten wir ganz in Ruhe die Ankunft des Brotteiges ab. Dieser wurde schließlich kurz vor 11.00 Uhr von den 3 Abholern zur Tür herein gebracht. Wir konnten also beginnen.

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Nach einer groben Einweisung in das handwerkliche Verfahren der Teigbearbeitung, räumten Haiko und ich bereitwillig unsere Plätze, um unseren Gästen die Möglichkeit intensiver Übungstätigkeit anzubieten. So stand alsdann Vater Heinz an der Küchenwaage, um die Portionen abzuwiegen, Tochter Verena formte nahezu professionell die Laibe und Mutter Kerstin samt Sohn Stephan stellten die gefüllten Schüsseln ins Regal. Haiko und ich indessen saßen ganz entspannt auf unseren Stühlen und trugen, wie man so schön sagt, die Verantwortung. Mit anderen Worten … alle hatten reichlich zu tun.

Als gegen 12.00 Uhr die Brote entsprechend unseres Planes recht gut aufgegangen waren, herrschte, wie von Zauberhand, in unserem Backofen die nahezu ideale Temperatur zum Brotbacken, nämlich 265 °C. Also zögerten wir nicht länger und begannen, die Brote in die Röhre zu schieben. Dabei übernahm etwa ab der Hälfte Stephan die Aufgabe, die Brote auf den Schieber zu legen. Der Einfachheit halber rollte er sie allerdings einfach aus den Schüsseln, so dass statt der Oberseiten die etwas faltigen Unterseiten oben lagen. Dieser Umstand war dann die Ursache für eine Entwicklung, die wir so nicht voraussahen. Als wir nämlich nach einer halben Stunde zum ersten Mal einen prüfenden Blick in den Ofen warfen, waren wir ziemlich verblüfft. Die von unserem Bäckerlehrling aufgelegten Brote hatten gänzlich ihre Form verloren. Sie sahen Broten in keiner Weise mehr ähnlich, sondern ähnelten eher wild schroffen Felsformationen, wie man sie manchmal in zerklüfteten Gebirgszügen findet. Das Gute daran war allerdings, dass sie an den aufgerissenen Stellen eine herrlich knusprige Kruste entwickelt hatten. Und eine Farbe, ein goldiges Braun, perfekter kann man sich das Kolorit von Brotlaiben einfach gar nicht vorstellen. Der Fehler, der uns am Ende passierte, wir haben nicht eines dieser extravaganten Gebilde fotografiert.

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Das Stichwort „Vereinsmitglieder“ fiel, während wir darauf warteten, dass unsere Brote noch gut durchbacken würden. Dass Heinz und Kerstin darauf eindeutig positiv reagierten, veranlasste Ihre Tochter zu der erstaunten Frage: „Na und ich“? Nachdem wir das Familienoberhaupt über die nahezu unbedeutenden finanziellen Folgen aufgeklärt hatten, stand auch Verenas Eintritt in den Verein nichts mehr im Wege. Und während wir uns gemeinsam über diese sehr kluge Entscheidung freuten, war auch das Ende der Backzeit erreicht.  Kaum, dass Heinz mit Hilfe von Söhnchen Stefan die fertigen Brote aus dem Ofen geholt hatten, kam schon Ingrid Müller mit vier Zwiebelkuchen daher, die ebenfalls noch gebacken werden sollten. Was schließlich auch geschah.

 

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Am Ende unser Werk betrachtend, breitete sich Zufriedenheit aus in der kleinen Backstube. Ein Brot hatten wir ganz frisch schon mal verkostet und konnten so wohl wahrlich guter Dinge sein. Dass sich nebenher Vater, Mutter und Tochter Watoro für einen Eintritt in unseren Heimatverein entschieden hatten, setzte diesem immensen Erfolgserlebnis in der Tat noch so etwas wie ein ganz klitzekleines Krönchen auf. Ich denke sogar, für alle Beteiligten.

Dass der abschließende Abschied nur von kurzer Dauer sein würde, war allerdings allen klar. Die Feierlichkeiten zum 200 – Jahr Jubiläum unseres alten Backhauses standen für den Abend ja bereits auf dem Plan.

Die Vorbereitungen für dieses festliche Ereignis liefen ohne besondere Vorkommnisse ab und wurden von denen erledigt, die sich stets an derartigen Vorbereitungen beteiligen. Die Zapfanlage war schon weit im Vorfeld von Bernd Liebner eingerichtet worden. Die Band „Astloch“ baute im Vereinshaus ihre Anlage auf, während einige Frauen des Vereins unsere Brote in mundgerechte Schnittchen verwandelten und diese für den späteren Verzehr bereitstellten.

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Marc Munzert schickte sich an, den Innen- und Außenbereich mit stimmungsvollen Lichteffekten zu schmücken.

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Ziemlich pünktlich um 19.00 Uhr versammelte sich dann eine recht ansehnliche Menschenmenge vor dem alten Backhaus, diesem kleinen Bauwerk, das über so viele Jahre treu im Dienste der Ernährung unserer Dorfbevölkerung stand. Einst als lebensnotwendiges Gebäude errichtet, half es uns in der letzten Zeit immer noch, köstliches Backwerk für muntere Feste und allerlei Feierlichkeiten herzustellen. Mittlerweile ist sein Zustand bedauernswert, was eine weitere Nutzung seit ein paar Jahren leider unmöglich macht. Was uns aber nicht davon abhalten sollte, in seinem Namen dieses Jubiläum zu feiern.

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Dass es trotz seines Alters immer noch für Überraschungen gut ist, bewies es, als plötzlich ein Mann aus seinem Inneren kam, den wohl ein guter Teil der Menschen in unserem Land bereits aus dem Fernsehen kennt. Als TV-Moderator des Senders MDR ist Marc Neblung ein Mensch, dem sein Ruf vorauseilt. Die dichte Bewaldung um uns herum, hatte den Ruf in seiner Eile aber wohl etwas ausgebremst. In Wickersdorf war sein Bekanntheitsgrad, das ergab die Befragung der anwesenden Bevölkerung, bis dato noch nicht so ganz allumfassend. Diese Unzulänglichkeit wurde ja aber nun mit seinem Auftritt in dieser feierlichen Stunde aufs Gründlichste bereinigt. Es war für ihn, wie auch für uns, mal eine ganz neue und unerwartete Erfahrung. Und ich hatte den Eindruck, sie war für beide Seiten tatsächlich sehr angenehm. Ja, ich glaube sogar, dass unser berühmter Gast (seine Frau war übrigens auch dabei) die Zeit hier bei uns wirklich richtig genießen konnte. Genau so, wie seine Mitwirkung an unserem Programm uns durchaus beträchtliche Freude bereitete. Ich möchte womöglich behaupten, sie war eine echte Bereicherung.

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Was auf der Straße vor dem Backhaus so schön begonnen hatte, setzte sich im Vereinshaus auch so schön fort. Professionell wie im Fernsehen, kündigte Marc Neblung den Auftritt des Posaunenchores Hoheneiche an. Dieser brachte uns, ebenso professionell, Blasmusik in swingiger Manier zu Gehör. Ein Stil, wie man ihn so von Posaunenchören im Allgemeinen nicht gewöhnt ist. Zu Anlässen wie dem unseren aber durchaus passend. Man möchte diese Aufführung als ein Highlight bezeichnen. Eine zweite sollte später noch folgen.

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Dazwischen allerdings Haikos Diavortrag, in dem er Motive Wickersdorfs aus längst vergangenen Zeiten eindrucksvoll in Szene setzte. Ein edles Druckexemplar der gleichen Bilder ließ er in sehr begrenzter Auflage herstellen, um es an Menschen zu verschenken, denen er sich in besonderer Weise verbunden fühlt.

Nicht weniger interessant war auch Uli Knopfs Beitrag über die Geschichte des Brotes und die unserer Backhäuser. Interessant, und lehrreich dazu.

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Es folgte der zweite Teil des Vortrages, mit dem uns der Posaunenchor genau die zum Anlass unserer Feierlichkeit passende Musik zu Gehör brachte.

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Genauso passend wie die Aufnahme einiger neuer Mitglieder in den Verein, die sich nahtlos anfügte. Beginnend mit Udo Wolf, dem neuen Geschäftsführer der Lebensgemeinschaft und Pfarrer Heiko Rau, der wegen plötzlicher Terminschwierigkeiten seine Teilnahme kurzfristig absagen musste. Diesen beiden folgten alsdann, wie in der Backstube beschlossen, Kerstin, Verena und Heinz Watoro. Auch Verena hatte leider keine Zeit, an unserer kleinen Feier teilzunehmen. Dafür hatte Heinz einen Umschlag dabei, dessen Inhalt für die Arbeit unseres Vereins wahrscheinlich sehr zum Nutzen sein dürfte. Und überhaupt würde ich einschätzen, dass sich mit allen unseren neu gewonnenen Mitgliedern eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit erahnen lässt.

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Die Zusammenarbeit mit einigen anderen, mehr oder weniger langjährigen Mitgliedern nahm unser Vorsitzender schließlich zum Anlass, diese mit Ruhm und Ehre zu übergießen. Ich will hier keine Namen nennen, um nicht womöglich jemanden zu vergessen. Es waren nämlich viele, die mit Auszeichnungen bedacht wurden. Ob berechtigt oder nicht, das will ich hier nicht kommentieren. Fest steht, dass am Ende einer keine Auszeichnung bekam und zwar der, der sie eigentlich am meisten verdient hätte. Haiko selbst! Ob all die anderen überhaupt jemals etwas zuwege gebracht hätten, wenn er sie nicht mit seinen Ideen und seinen Initiativen immer wieder ein wenig angekurbelt hätte, bleibt aus meiner Sicht ziemlich fraglich. Dass mir die Eingebung erst kam, als es leider schon zu spät war, bleibt dagegen unverzeihlich. Das Einzige, was ich noch tun konnte, war, hinzutreten vor die Leute und mein Versagen offen zu bekennen. Ein kleiner Trost war vielleicht, dass später noch der eine oder andere zu mir kamen, um sich selbst ebenfalls Asche aufs Haupt zu streuen.

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Gott sei Dank traten die dunklen Gedanken schnell in den Hintergrund, als schließlich das Essen angekündigt wurde. Dazu Wein von unserem Stammlieferanten, dem Weingut Wagner aus Starkenburg. 40 Flaschen in einer Sonderedition, extra für unsere Feier. Welchen Genuss unser selbst gebackenes Brot und der köstliche Wein dazu bereitete, versuche ich gar nicht erst zu beschreiben. Die Worte sind noch nicht erfunden, die diesen exzellenten Gaumenfreuden auch nur ansatzweise gerecht werden könnten. Ingrids Zwiebelkuchen, den wir zum Verzehr extra noch einmal etwas aufgewärmt hatten, rundete das überaus köstliche Mahl auf unvergleichlich schmackhafte Weise ab. Es war eben ein Festessen … in jeder Hinsicht!

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Danach war es schließlich soweit, dass die Gruppe „Astloch“, die ja den Titel „Hausband des Vereinshauses Wickersdorf“ trägt, ihren Dienst aufnahm. Mit ihrer wohlbekannten Mischung aus Unterhaltungsmusik der verschiedensten Schattierungen machten die vier Männer und eine Frau gleich ordentlich Stimmung.

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Durch die berühmt berüchtigte Tanzträgheit der Wickersdorfer ließen sie sich nicht beirren. Sie hielten immer weiter drauf, bis schließlich auch dieser Bann gebrochen war. Mit dem Tanzen nahm dann allerdings auch die Ausgelassenheit zu. Oder lag dies vielleicht doch mehr am Wein und am Bier, welche natürlich reichlich konsumiert wurden. Wie dem auch sei, die Astlöcher kamen nicht mehr dazu, Pause zu machen. Und das bis weit nach Mitternacht. Mit dieser Leistung machten sie ihrem Titel „Hausband ….“ wieder einmal alle Ehre.

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Nachdem sie dann so gegen 02.00 Uhr ihren Kram zusammengeräumt hatten und sich verabschiedeten, war allerdings auch die Masse an Gästen merklich geschrumpft. Der ganz harte Kern begann schließlich auch noch, gleich ein bisschen aufzuräumen und machte wohl so gegen 03.30 Uhr das Licht aus.

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Die Mitgliederzahl unseres Vereins ist an diesem Tag auf 107 angestiegen. Wahrscheinlich hat ihn unser neues Backhaus mit seiner großen Anziehungskraft angesteckt.

 

Heimatverein Wickersdorf e.V.                                                                                                        Eddy Bleyer

 

Oktober 2017

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