Trotz eines arg verrenkten linken Knies verteilte ich an diesem Freitag das Mitteilungsblatt unserer Kirchengemeinde im Dorf. Kaum hatte ich durch das Gartentor das Grundstück der Familie Knopf betreten, kam Uli hinter dem Haus hervor. Unumwunden teilte er mir mit, dass er plane, mal wieder eine Wanderung einzuberufen. Den Entwurf dafür habe er schon in der Schublade. Im September 2018 war diese Wanderung wegen mangelnder Beteiligung schließlich abgesagt worden.
So wurden wir uns einig, dass ich die Einladungsmodalitäten übernehmen würde und nach ein paar Tagen stand fest, dass ausreichend Resonanz für eine erfolgreiche Aktion vorhanden war. Doch es sollte noch besser kommen.
Am Sonntag, dem 21. Juli, war für 14.00 Uhr der Treffpunkt an der Feuerwehr vereinbart. Und nicht nur zu meiner Verwunderung kamen mehr Leute, als sich angemeldet hatten. Angemeldet, aber völlig neu in unserer Wandergruppe, trat als letzte Frau Sorger in unsere Mitte. Gemeinsam mit ihrem Mann bewohnt sie das Wochenendhaus am Molkenborn. Im Gegensatz zu ihrem Ehegemahl scheint ihr ein ausgedehnter Spaziergang hin und wieder am Herzen zu liegen. Was sie dazu bewog, uns an diesem herrlichen Sonntag zu begleiten.
Das Wetter war tatsächlich ausgesprochen schön. Vereinzelte Wolkenfelder sorgten dafür, dass es nicht gar zu warm wurde. Im Verlauf unseres Weges kamen wir trotzdem dann teilweise noch ganz schön ins Schwitzen.
Die erste Etappe unserer Exkursion war da noch relativ harmlos. Es ging konstant bergab – die Diebskammer hinunter in den Heubachgrund. Selbstredend gab es freilich schon auf diesem 1. Kilometer mehrfach Gelegenheit für Uli, einen Zwischenstopp für nähere Erläuterungen zu den am Wege liegenden Bauwerken und Einrichtungen einzulegen. Wie aus dem ehemaligen Wohnhaus eines Lehrers der Freien Schulgemeinde ein Kinderheim und nun schließlich Unterkunft für Betreute der Lebensgemeinschaft wurde. Was es mit den beiden Teichen auf sich hat und wie vor 100 Jahren Abwasser geklärt wurde.
Nicht zu vergessen, wo die Steine der großen Kinderheimsmauer herkommen und wo sonst solche Steine noch als Baumaterial zum Einsatz kamen. Zusammenhänge, die der Entwicklung unseres Dorfes und auch seiner Umgebung wesentliche Impulse verliehen.
Weiter unten im Tal erreichten wir das Rondell, das vor vielen Jahren noch als so eine Art Raststätte für Wanderer genutzt werden konnte. Gleich daneben steht das Pumpenhäuschen der örtlichen Trinkwasserversorgung, welches unsere Gemeinde schon zu DDR – Zeiten unabhängig von der großen Schwester in der Kreisstadt machte. Unabhängigkeit, die nach der Wende durch unausgewogene, kommerzielle Regionalpolitik leider verloren ging.
Zweihundert Meter weiter unten stand vor Jahrhunderten eine bedeutende Schneide-, Mahl- und Ölmühle am Bach. Auch ihre Bedeutung ging verloren.
Nur die Reste einer Mauer lassen heute noch erkennen, wo genau das Bauwerk sich früher befand.
Die massive Natursteinbrücke, die wir Wickersdorfer auf unserem Weg nach Meura oder zurück unzählige Male überschritten, existiert nicht mehr. Unvorstellbar, welche Kräfte dieses monumentale Gemäuer zum Einsturz brachten.
Will man heute an der gleichen Stelle den Bach überqueren, muss man durch ihn hindurch gehen. Was ich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal in meinem Leben tat. Wobei sich auch die Richtung unserer Wanderung grundsätzlich änderte.
Von bergab zu bergauf. Anfangs noch ziemlich moderat. Einen knappen Kilometer vielleicht. Dann erreichten wir den Fruschbach. Hier wendete sich das Blatt grundlegend. Steil ging von jetzt ab der Weg nach oben. Und war gespickt von Ulis Lieblingshobby … alten Grenzsteinen.
Wir beschritten nämlich ganz konkret die alte Grenzlinie zwischen den Herzogtümern Sachsen-Rudolstadt und Sachsen-Meinigen. Michael Harbichs Zwischenfrage, wer die Grenzsteine wohl dahin trug, wo sie heute stehen, kam mir durchaus berechtigt vor. Mir erschien die Kraxelei den Hang hinauf auch ohne Grenzstein weiß Gott schon beschwerlich genug. Uli indessen hatte sich mit Drahtbürste und einer kleinen Hacke bewehrt, mit deren Hilfe er die Steine säuberte und übermäßigen Waldboden um sie herum ein wenig beiseite kratzte. Um sie auch weiteren interessierten Generationen möglichst gut erkennbar zu erhalten.
Warum der Standort, den man Rabentanne nennt, nun eigentlich Rabentanne heißt, wusste auch Uli nicht so genau. Von hier aus wurde der Weg aber wieder etwas komfortabler. Vor allem nicht mehr so steil.
Und so bewegten wir uns nun wieder etwas entspannter über die Hasenleite in Richtung Töpfersbühl. An einigen sonnigen Stellen wurde so mancher Wanderer verleitet, sich an den durchaus vorhandenen Heidelbeeren zu laben. Wenngleich sie ob der anhaltenden Trockenheit nicht sonderlich groß waren. Ich aß nur ein paar wenige, muss aber sagen, vom Geschmack her waren sie äußerst delikat.
Das alte Auerhahnshäuschen zu finden, war keine leichte Aufgabe. Selbst Uli, der 2007 mit Ralf Barten hier Vermessungen für unser neues Auerhahnshäuschen vorgenommen hatte, konnte die Stelle nicht eindeutig definieren. Nachdem wir einen offensichtlich falschen Balken für ein Relikt hielten, dann die Überraschung. Jens Pachnicke fand ganz unerwartet schließlich doch Holzreste, die eindeutig zum Auerhahnshäuschen gehörten.
Es steht aber zweifelsfrei fest, in wenigen Jahren werden diese Fragmente nicht mehr auszumachen sein. Für das neue Auerhahnshaus gilt das so nicht. Die Dachbohlen müssten demnächst mal ausgetauscht werden. Darüber waren sich Uli und Bernd Liebner einig.
Der Weg nach Hause dauerte von da an nur noch ein paar Minuten. Leicht verspätet und womöglich auch ein bisschen erschöpft kamen wir an. Und hatten Dinge gesehen, die nach uns womöglich niemand jemals mehr finden wird.
Heimatverein Wickersdorf e.V. Eddy Bleyer