Burgen sollen da stehen – stolz und kühn! Und das nicht erst seit gestern! Schon 1826 stellte nämlich Franz Kugler in dem gleichnamigen Lied diese Tatsache fest. Ob dem wohl immer noch so ist? Das herauszufinden, scheuen echte Wickersdorfer weder Zeit noch Mühen. Der Wissensdurst ziehet sie hinaus in die Fremde, um zu schauen die Wunderwerke, die die Welt fernab ihrer Heimat gar viele zu schauen bietet.
Also chartert der Heimatverein einen Bus des Reiseunternehmens Hugo Vater, und auf geht es, die Thesen des Franz Kugler zu überprüfen. Als der Bus am 17. Juni 2000, es ist ein Samstag, auf dem Dreieck hält, sitzen, wie schon so oft, Reiselustige aus den umliegenden Höhendörfern darin, die den Wissensdurst der Wickersdorfer teilen. Kaum ein Wölkchen zeigt sich am sonnigen Firmament, als der Bus gegen 07.00 Uhr mit ihnen auf die Reise geht. Bis Saalfeld steigen hier und da noch vereinzelt Leute zu. Dr. Uli Knopf, der heute erstmals als Vorsitzender des Heimatvereins an einer Tagesfahrt teilnimmt, dann unser langjährig treuer und stets dienstbereiter Reiseleiter Kurt Hammer, begrüßen nacheinander die Fahrgäste. Unser Fahrer, Harald Arnhold, hält sich mit seiner Begrüßungsrede etwas zurück. Nun ja, er fährt uns zum ersten Mal. Mit der Gesprächigkeit seines Kollegen Uli Daum, der uns des öfteren schon durch die Lande fuhr, hält er noch nicht ganz mit – aber das kann ja noch werden.
Am Gewerbegebiet „Am Mittleren Watzenbach“ macht Kurt uns auf die Anschlußstellen der gerade im Bau befindlichen Nord – Ost – Tangente aufmerksam. Über diese Strecke soll später der Verkehr zwischen Pößneck und Rudolstadt aus dem hoffnungslos überlasteten Stadtgedränge durch Saalfeld herausgehalten werden.
Als wir sein Denkmal in Wöhlsdorf passieren, erinnert Kurt an die Schlacht gegen Napoleonische Truppen, bei der Prinz Louis Ferdinand von Preußen hier ganz in der Nähe sein Leben im Kampf für die Freiheit verlor.
In Rudolstadt läßt Kurt uns wissen, daß wir uns gerade in der, neben Weimar, wichtigsten Kulturmetropole Thüringens befinden. Als Argumente für seine Feststellung führt er das Theater, die Musik-, die Folklore und Tanzfestspiele, die historischen Bauernhäuser und nicht zu vergessen, die Kunstsammlungen auf der Heidecksburg, an.
Von Rudolstadt über Bad Berka auf die A4 – diese Strecke fahren wir nicht zum ersten Mal. Wer schon öfters mit uns unterwegs war, kennt deshalb schon einiges von dem, was Kurt auf diesem Abschnitt unserer Reise zu berichten weiß. So erwähnt er z.B., welche Rolle Großkochberg im Leben Goethes spielte und wie sich in alten Zeiten Teichel und Ummerstadt um den Titel „kleinste Stadt der DDR“ stritten.
Mit schweren, grauen Wolken hat sich der Himmel bezogen. Als wir die Saale – Ilm – Platte entlangfahren, ist von der noch am Morgen so makellos strahlenden Sonne leider nicht mehr viel zu sehen. Steil und kurvenreich fällt die Straße nach Blankenhain hin ab, das sich vor unseren Augen beschaulich im Tal der Schwarza ausbreitet. Man braucht wohl kaum zu erwähnen, daß dieses nicht mit dem Schwarzatal identisch ist, das wahrscheinlich die meisten von uns kennen und welches sich über eine Länge von 53 km von Rudolstadt/ Schwarza bis in die Nähe von Scheibe/Alsbach hinaufzieht. Warum Blankenhain im Volksmund als die Lindenstadt bezeichnet wird – eine gesicherte Information darüber muß uns Kurt auch auf der heutigen Fahrt leider schuldig bleiben. Was im Gegensatz dazu ganz sicher ist, das sind die recht häufigen Besuche Goethes in Bad Berka. So wurde auf sein Anraten hin 1813 ein Schwefelbad eröffnet, allerdings versiegte schon 22 Jahre später die Quelle. Dennoch ist der Name Bad Berka schon seit aller Menschengedenken mit dem Ruf medizinischer und naturheilkundlicher Einrichtungen verbunden. Da wir im Moment keiner medizinischen Hilfe bedürfen, durchfahren wir Bad Berka auf dem schnellsten Wege, halten allerdings nur ein paar Minuten danach auf einem Parkplatz an, um dem Drang menschlicher Bedürfnisse nachgeben zu können, der sich bei dem einen oder anderen mittlerweile eingestellt hat.
Es bietet sich an, im gleichen Zuge die schon etwas erschlafften Leiber durch Speis und Trank wieder zu stärken und Kraft für die nächste Etappe der Fahrt zu sammeln. Als wir aus dem Bus steigen, spürt man ganz deutlich, daß ein so heißer Sommertag, wie ihn der ungetrübte Himmel am Morgen hatte erwarten lassen, wohl doch ausbleiben wird. Ziemlich dunkle Wolken haben die Sonne inzwischen verdeckt, vom strahlenden Blau des Himmels ist kaum noch eine Spur zu entdecken und es weht uns ein recht rauhes Lüftchen um die Nase. Aber es ist trocken und auch nicht so kalt, daß man frieren müßte. Was mir persönlich auffällt, ist die ziemlich stark entwickelte Population an Mohnblumen, die mich schon einmal ins Staunen versetzt hatte, als wir hier in dieser Gegend unterwegs waren.
Wer sich ein bißchen auskennt, der weiß, von Bad Berka nach Apolda – das ist nur eine Frage von Minuten. Drauf auf die Autobahn – runter von der Autobahn, und schon ist man da. Der genaue Standort des Glockenmuseums,- dort wollen wir hin – ist bis dato weder dem Busfahrer, noch dem Reiseleiter bekannt, so daß eine Befragung Ortskundiger uns erst den rechten Weg eröffnen muß. Wir liegen aber so gut in der Zeit, daß wir trotz dieser kurzen Suchaktion noch einige Augenblicke warten müssen, bis das Museum geöffnet wird.
Eine Sonderausstellung unter dem Motto „Fotografie, Grafik, Malerei“ bereichert unseren Besuch. In drei Räumen wird damit Künstlern aus den genannten Genres die Möglichkeit geboten, ihre Werke der Öffentlichkeit vorzustellen.
Die übrigen Räumlichkeiten sind gefüllt mit Informationen zur Geschichte der Glockengießerei weltweit und nicht zuletzt über die Entwicklung dieser hohen Kunst in Apolda selbst. In stabilen eisernen Gestellen hängen Glocken verschiedener Größen. Ist der Anblick allein schon sehr imposant, so ist es nahezu unvorstellbar, welch immenses Gewicht schon die kleinsten von ihnen auf die Waage bringen. Da wird die Statik des Gebäudes wahrlich auf eine harte Probe gestellt. An den Wänden zeugen Bilder und Schriften von Giganten ihrer Art, die mit zweistelligen Tonnenbeträgen aufwarten können. Doch weder in der Form noch in der Beherrschung der unglaublichen Wucht und Masse seines Werkes besteht die wahre Kunst des Glockengießers. Die grandiose Leistung zeigt sich vielmehr darin, daß die fertige Glocke dann auch in dem für sie ganz genau vorausbestimmten Ton erklingt.
Denn nur in diesem Falle wird, mit Schillers Worten ausgedrückt, das Werk den Meister loben. Den Apoldaer Glockengießern eilte dieses Lob offensichtlich seit Zeiten weit voraus, denn Glocken von hier sind nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und darüber hinaus zu finden.
Das Handwerk des Glockengießens vereint schwerste körperliche Arbeit mit filigranstem, künstlerischem Fingerspitzengefühl. Das Museum in Apolda ermöglicht tiefere Einblicke in die Vielfältigkeit, mit der Glocken das alltägliche und kulturelle Leben der Menschen im Laufe der Jahrhunderte rund um den Erdball mitgestaltet haben. Interessierten Menschen kann ein Besuch nur wärmstens empfohlen werden. Für die Leser dieses Berichtes aber noch ein winziges Detail – der Vollständigkeit halber! Der Grundstein für die Glockengießerei in Apolda wurde 1722 von Johann Christoph Rose gelegt, der aus Volkstedt bei Rudolstadt stammte.
Da ein leerer Magen keine besonders angenehme Sache ist und damit dem erholsamen Zweck unserer Reise prinzipiell entgegen wirken würde, hat Kurt auch an diesem Tage Vorsorge getroffen. „Ein kräftiges Mittagsmahl wird uns bei Laune halten“, das ist seine Devise.
Ziemlich eng und kurvenreich schlängelt sich der Weg den Weinberg hinauf, wo das Restaurant Sonnenburg schon auf uns wartet. Während der Fahrt hierher hat sich die Wolkendecke vom Vormittag merklich gelichtet. Auf dem Weg vom Parkplatz zur Gaststätte – es sind etwa 100 m zu laufen – lacht uns die Sonne zu. Dabei hat sich die Temperatur auf einen Stand im angenehmen Bereich geeinigt, so daß wir nicht frieren, aber auch nicht schwitzen müssen.
Als standesgemäße Begrüßung klingt uns vom Burghof das Lied einer Gruppe singender Frauen entgegen. Sie gehören allerdings nicht zum Personal, sondern sind selbst Gäste, die zur Labung von Leib und Seele hier verweilen wollen. Wir lassen es uns nicht nehmen, uns mit einem kleinen Applaus für den schönen Gesang zu bedanken und suchen sodann unsere Plätze im Inneren des Hauses auf. Wir kommen in eine sehr freundlich und niveauvoll eingerichtete Gaststube, wo schon einige Tische für unser Mittagsmahl eingedeckt sind. Kaum daß wir Platz genommen haben, betritt eine Hochzeitsgesellschaft den Raum und läßt sich im Nebenzimmer nieder. Aber auch sonst sind nicht so sehr viele Plätze frei – man könnte daraus schließen, daß das Geschäft in der Sonnenburg ganz gut läuft. Unser Aufenthalt läßt einige Gesichtspunkte erkennen, die diese Schlußfolgerung durchaus begründen. Die Bedienung ist freundlich und geht zudem recht flott vonstatten. Das Essen, welches sich das Prädikat „ausgezeichnet“ ohne Wenn und Aber verdient, wird in Portionen serviert, an denen sich auch ein guter Appetit sättigen kann. Obwohl wir sie nicht stellen, kann doch eingeschätzt werden, daß hier sogar gehobenen Ansprüchen entsprochen wird.
Als wir wieder im Bus sitzen, der nun in Richtung Bad Kösen unterwegs ist, sind wir entsprechend gut gelaunt und durch das angenehme Gefühl eines vollen Magens wohl auch etwas ruhiger geworden. So lassen wir also – innerlich völlig gesetzt – die Ankündigungen Kurts über den weiteren Verlauf unserer Reise über uns ergehen. Von Bad Kösen aus werden wir die Saale flußaufwärts schippern bis zur Anlegestelle Rudelsburg. Von da aus kann dann, wer will, den Anstieg hinauf zum historischen Gemäuer zu Fuß in Angriff nehmen.
Wem dies zu viel des Guten erscheint, der kann mit dem Bus von Bad Kösen aus hinauffahren, nachdem er mit dem Boot dorthin zurückgekehrt ist. Eine gute Gelegenheit, die Spreu vom Weizen zu trennen. Bei Klärung dieser Frage stellt sich nämlich heraus, daß wir offensichtlich keine sehr wanderfreudige Reisegesellschaft sind. 5 von 40 Leuten trauen es sich zu, den Gipfel, auf dem das in der Überschrift erwähnte Lied entstanden ist, auf Schusters Rappen zu erreichen. Unter den Fünfen – man höre und staune – eine Frau. Gunda Weidlich, ihres Zeichens bereits Rentnerin – sie schickt sich an, es den Jungen zu zeigen. Zusammen mit Werner Weidlich (der mit Gunda weder verwandt noch verschwägert ist), Uli Knopf, Dieter Jakob und mir nimmt sie den Marsch zur Burg in Angriff.
Als sie oben ankommen, bereut keiner der fünf, mitgegangen zu sein, denn es war weder ein beschwerlicher, noch ein anstrengender Marsch, sondern eine Wanderung durch eine herrliche, wildromantisch reizvolle Natur. Derweil sie ihr Ziel erreichen, ist von den anderen noch keinerlei Spur zu entdecken. Der Spaziergang hat höchstens 20 Minuten gedauert, garantiert brauchte das Boot ebensolange, um nach Bad Kösen zurückzukehren.
Als der Bus nach etwa 20 weiteren Minuten auf dem Parkplatz vor der Burg ankommt, haben wir das Terrain bereits gesichtet und die Gegend durchstreift. Nun, da wieder alle beisammen sind, lassen wir uns gemütlich im Burgrestaurant nieder, wo Kurt für eine geruhsame Kaffeepause fürsorglich Plätze vorbestellt hat. Dabei hat er genug Zeit eingeplant, daß der eine oder andere Interessierte seinen wohlverdienten Rundgang im Burggelände – und Schwindelfreie auch auf dem Hauptturm – absolvieren kann.
So nach und nach versammelt sich dann aber Alles wieder am Bus, denn die Zeit geht dahin und in Uhlstädt wartet man mit dem Abendbrot auf uns. Nicht, daß wir uns sonderlich beeilen müßten, aber auf der Rudelsburg gibt es nun eh nichts Neues mehr zu entdecken. Der Weg hinunter in die Zivilisation ähnelt einer Achterbahn. Er ist nicht ganz so steil, aber genau so schmal. Harald zirkelt den Bus wie auf Messers Schneide durch spitzwinklige Kurven und an entgegenkommenden Fahrzeugen vorbei. Da bleibt kein Millimeter Wegrand ungenutzt.
Manchmal stehen die äußeren Räder wohl auch da, wo eigentlich schon gar kein Wegrand mehr ist, sondern Waldrand. Und der steht auf stark abschüssigem Gelände, so daß mancher Blick aus dem Fenster einem regelrechte Schauer über den Rücken jagt. Doch wir können uns auf unseren Busfahrer verlassen. Wir sind der Mühlstein und er ist der seidene Faden, der hält.
Ein Aufatmen geht durch den ganzen Bus, als wir uns endlich wieder auf befestigter Straße befinden. Das Ziel ist klar definiert. Nach überwundener Distanz fahren wir also am Gasthaus „Zum goldenen Roß“ in Uhlsdädt vor. Dort hat man den Tanzsaal eingerichtet, um uns unser Abendessen zu kredenzen. Das Niveau der Räumlichkeiten kann nicht ganz mit der Sonnenburg mithalten. Das Personal indessen bemüht sich, unsere ermatteten Körper wieder aufzurichten. Speis und Trank sind schmackhaft und gesund, so daß wir am Ende mit der Bewirtung durchaus zufrieden sind.
Nachdem wir unser Pensum verdrückt und unsere Rechnung beglichen haben, kommt langsam wieder Bewegung in die Meute. Das Ganze geschieht ohne Hast und Eile. Vor uns liegt der letzte Abschnitt unseres heutigen Ausfluges – der Weg in die Heimat. Keinerlei Aktivitäten werden uns nunmehr abverlangt. Faul und satt bis zum Hals lassen wir uns in unsere Sitze sinken. Der Einzige. von dem noch ein Mindestmaß an Konzentration gefordert wird, ist Harald. Der ganze Rest hat weiter nichts zu tun, als in vollen Zügen das Leben zu genießen.
Eigentlich hat ja niemand wirklich daran gezweifelt, aber was schadet es, daß wir uns heute mit eigenen Augen noch mal davon überzeugt haben.
Die stolzen und kühnen Burgen an der Saale hellem Strande … sie stehen noch!
Eddy Bleyer