Die Reise ins Frankenland

Die Reise ins Frankenland

Wer das kleine Städtchen Weismain noch nicht kennt, der sollte deswegen eigentlich nicht gleich verzweifeln. Gewiß, das Loch im Allgemeinwissen klafft tief, aber ist das eigentlich verwunderlich? Wenn man auf einer ganz normalen Landkarte sucht, es gibt sie etwa im Maßstab 1 : 2.000.000, so findet man Weismain genauso, wie z.B. Wickersdorf, nämlich überhaupt nicht. Das könnte vielleicht eine Erklärung dafür sein, daß es tatsächlich immer noch Leute gibt, die bis dato noch nie etwas von Weismain gehört haben.

Aber noch drei andere wesentliche Merkmale haben Weismain und Wickersdorf gemeinsam. Zum Ersten, die malerischen Landschaften, von denen sie umgeben sind, zum Zweiten die interessante und beachtenswerte Geschichte ihrer Vergangenheit und zum Dritten das große „W“ als Anfangsbuchstaben ihrer Namen. Sticht dem aufmerksamen Leser letzteres sicherlich auf Anhieb ins Auge, so muß er sich über Primäres und Sekundäres erst informieren.
Reisen bildet! Diesem Slogan hat sich der Wickersdorfer Heimatverein Zeit seines Bestehens verschrieben. Und beim letzten Mal ist also Weismain Ziel der Bildungsreise. Die Organisation ist sozusagen der Einstand von Karlheinz Ziegler, der seines Zeichens Geschäftsführer der Lebensgemeinschaft Wickersdorf, und derzeit noch in Weismain beheimatet ist. Auf der Jahreshauptversammlung 1994 wurde er nämlich offiziell als Mitglied in den Heimatverein aufgenommen.

Wir fahren also am 23.04.94 gegen 08.00 Uhr morgens los und alles ist wie immer. Nur das Wetter nicht – das ist diesmal schöner. Schon früh blauer Himmel! Walter Munzert, der nur Regentouren organisieren kann, muß sich einige spitze Bemerkungen gefallen lassen. Die Busfahrt verläuft reibungslos. Die obligatorischen Begrüßungsworte von Dr. Uli Knopf werden wohlwollend von der Reisegesellschaft zur Kenntnis genommen. Nach etwa zwei Stunden Fahrt erreichen wir unser Ziel. Ohne größere Komplikationen finden wir auch gleich den Weg zum Rathaus, wo Karlheinz in Gesellschaft des dritten Bürgermeisters von Weismain bereits auf uns wartet. Nun können wir also damit beginnen, kennenzulernen, was uns bis dahin verborgen war. Zunächst werden wir durch Herrn Ziegler kurz vorgestellt. Der Herr dritter Bürgermeister begrüßt uns sodann von den Stufen der Rathaustreppe. Sein Name ist übrigens Alfons Lawatsch. Locker und unkompliziert wie er auftritt, bietet er uns allen ohne weitere Umschweife das „DU“ an, wodurch für diesen Tag sein Nachname in unseren Reihen keine nennenswerte Rolle mehr spielt.

Die anschließenden Ausführungen unseres Gastgebers, der uns im Rathausinneren ein paar herausragende Episoden aus der Geschichte Weismains erzählt, werden durch eine Dame unterbrochen, welche einige Fotos für die regionale Presse zu schießen gedenkt. Als wir auch das hinter uns gebracht haben, zeigt uns Alfons das kleine Geschichtsmuseum, das provisorisch im Rathaus eingerichtet ist. Er versteht es, interessant zu erzählen und über Personen und Begebenheiten, die für die Entwicklung Weismains eine Rolle spielten, zu berichten. Wir verlassen das Rathaus, nachdem der lehrreiche Bericht beendet ist und wenden unsere Schritte der Kirche zu, die nur ein paar Meter weiter ihre Zinnen in den Himmel reckt. Die Kirche mit Worten zu beschreiben, wäre ein Ansinnen, das nicht gelingen kann. Äußerlich noch von unübersehbaren Spuren intensiven Beschusses während des 30 jährigen Krieges gezeichnet, so herrschen im Inneren Schönheit und Pracht in vollendeter Harmonie. Zwar mußten in den letzten Jahren einige Teile restauriert oder neu aufgebaut werden, aber dem unkritischen Betrachter kann dieser Stilbruch keineswegs als Makel erscheinen. Fügen sich die neu gestalteten Segmente doch so perfekt in das gesamte Arrangement ein, das zumin-dest für Laien nicht mehr nachvollziehbar ist, wo die Grenzen zwischen alt und neu verlaufen.

Frankenland

Gerahmt durch Kirche, Lagerhaus und Stadtmauer liegt der sogenannte Kasten-hof. Hier hatten im Laufe der Jahrhunderte die Zinspflichtigen ihre Abgaben zu leisten. Durch starke und hohe Tore gesichert, wurde verhindert, daß man das, was man tags abgeliefert hatte, nachts wieder davontragen konnte. Die Erklärungen des Herrn Alfons zum Kastenhof und den ihn umgebenden Gebäuden sind natürlich etwas detaillierter, doch als er schließlich zum Ende kommt, wenden wir uns weiter.

Nun mag es manche Leute geben, denen zu dem Begriff „Weismain“ nicht viel einfällt, wenn sie aber den Namen „PÜLS“ hören, wissen sie wohl, was gemeint ist. Dabei handelt es sich nämlich um ein exzellentes Bier, welches in der gleichnamigen Brauerei hergestellt wird. Und diese Brauerei – ganz Schlaue werden bereits merken, worauf ich hinauswill, steht natürlich – wie könnte es anders sein, in Weismain. Was liegt also näher, als daß wir – weiterhin von Alfons begleitet, der Brauerei „PÜLS“ einen Besuch abstatten. Um sie zu erreichen, müssen wir die reisende Weismain überqueren. Dank einer Brücke kommen wir trockenen Fußes ans andere Ufer. Übrigens ist die Weismain nur ein Bach, wie wir erfahren, und sozusagen eine kleine Schwester des Weißen Mains, der ein paar Kilometer weiter mit seinen Windungen die Landschaft ziert. Als Bach, das muß man aber an dieser Stelle sofort bemerken, ist sie doch ein ganz stattliches Gewässer. Auf alle Fälle hat sie Macht genug, um für die Brauerei eine Turbine anzutreiben, mit deren Strom ein ganzer Teil des eigenen Energiebedarfes abgedeckt werden kann. So geschieht es jedenfalls, wenn man den Worten des Juniorchefs, Hans Püls (der Senior heißt ebenfalls Hans ), Vertrauen schenken kann. Dieser nämlich begrüßt uns sehr freundlich vor den Toren seines Betriebes. Im Gegensatz zu dem Braumeister in Singen, der uns seinerzeit von der elementaren Einzigartigkeit handwerklicher Bierbraukunst überzeugte, erklärt uns Hans die unwiderlegbaren Vorzüge der industriellen Bierproduktion. Aber Ehre der Wahrheit – jeder auf seine Art, haben sie wohl beide ein bißchen Recht.

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Allerdings muß man eines ganz klar herausstellen – die Brauerei PÜLS ist eine weitaus mächtigere Erscheinung als die in Singen. Nun ja, tausende Hektoliter jährlich, die wollen schon irgendwo herkommen. Bei PÜLS kommen sie aus einem kilometerlangen Netz von Rohren und Behältern die ausnahmslos aus purem Edelstahl gefertigt sind. An jeder maßgeblichen Stelle ist dieses Netz an einen Computer angeschlossen, der das Bierbrauen übernimmt wie ein Mann. Schließlich glauben wir den Worten unseres Gastgebers, daß das computergebraute Bier ein durchaus schmackhaftes Getränke sei. Wir haben dann später auch noch Gelegenheit, uns durch eigenhändigen Genuß des edlen Gerstensaftes davon zu überzeugen. Bevor wir uns verabschieden, bekommt jeder von uns noch einen Bierkrug überreicht. Das lassen wir uns natürlich gern gefallen und ziehen schließlich dankend unseres Weges.

Ein idyllisches Tal hinauf, immer am Ufer der Weismain entlang, fährt unser Bus dem Mittagessen entgegen. Alfons, der uns auch weiterhin mit seiner Anwesenheit beehrt, erklärt mit Akribie, was es alles mit Land und Leuten auf sich hat. Doch die Fahrt währet nicht allzu lang, so daß sicherlich das eine oder andere Interessante aus Zeitmangel keine Erwähnung mehr finden kann.

Das Etablissement, welches Karlheinz zu unserer Labung auserkoren hat, ist nur recht bescheiden eingerichtet. Sonderst die sanitären Einrichtungen erinnern doch recht stark an ehemalige DDR – Verhältnisse, so daß wir uns fast wie zu Hause fühlen. Die Forellenzucht, die direkt vor dem Haus angelegt ist, stellt sich als Blickfang – und das nicht nur für die jüngeren Teilnehmer unserer Reise, heraus. Aber nicht nur im klaren Bergquellwasser, sondern auch in der Pfanne macht sich eine Forelle gut. Wen wundert es also, daß sich in der Speisekarte natürlich auch Forelle in den verschiedensten Geschmacksrichtungen wiederfindet.

Um es ganz kurz zu machen, Speis und Trank, die uns dargeboten werden, sind vom Allerfeinsten. Was den Trank darüber hinaus angeht, so besteht dieser aus einigen Kästen Bier unterschiedlichster Sorten, doch allesamt von PÜLS gebraut und vom Brauer eigens für uns herangefahren. Da aber nun die Stunde des Abschiedes gekommen ist, stellen wir zunächst erst einmal fest, daß unser Bus genau verkehrt herum steht und daß das Wenden im engen Tal gar keine so leichte Sache ist. So müssen wir also noch ein paar Kilometer talaufwärts fahren, Gelegenheit für Alfons, noch eine gewisse Frist aus dem Fundus erstaunlicher und sagenhafter Episoden der näheren Umgebung zu plaudern, bis endlich eine geeignete Wendestelle gefunden ist. Von da aus kehren wir ohne Aufenthalt nach Weismain zurück. Alfons und Karlheinz verabschieden sich, wir jedoch setzen unsere Reise fort.
Etwa eine halbe Stunde Fahrt und wir kommen an den großen Parkplatz unterhalb von Vierzehnheiligen, dem zweiten Ziel unseres Ausfluges. Das Kloster selbst aber erreichen wir erst, nachdem wir dem ansässigen Busunternehmer ein bescheiden Entgelt in sein Säckel haben fließen lassen, damit er uns nach oben fahre.

Die Basilika Vierzehnheiligen ist wahrlich eine Perle der Baukunst. Selbst die Kirche in Weismain müßte sich dagegen in Bescheidenheit hüllen. Pracht und Prunk übertreffen jedes Maß menschlichen Vorstellungsvermögens. Allein die meterstarken Säulen aus Marmor, auf denen das Dachgewölbe ruht, werden wohl in ihrer Art einzigartig sein. Das ganze Gefüge, das von genialer handwerklicher Meisterschaft zeugt, wird in solcher Vollendung auch nicht so leicht irgendwo nochmal zu finden sein. Nicht zu vergessen, die verwendeten Materialien, die dem ganzen Arrangement zu allerhöchster Vollkommenheit verhelfen.

Aber welch Malheur, wenn man sieht, wie auf dem Platz neben diesem Bauwerk die Marktbuden stehen. Der Vorhof eines solchen Kleinodes der Bau- und Kunst-geschichte wird zu einem Rummelplatz degradiert – des schnöden Mammons wegen!

Nach all diesen gegensätzlichen Eindrücken machten wir uns schließlich wieder auf den Weg zu unserem Bus. Diesmal zu Fuß, denn der ansässige Busunter-nehmer hat für heute seinen Säckel wahrscheinlich voll – und ward nicht mehr gesehen!

In unserem Bus machen wir es uns alsbald wieder bequem. Der Eine oder Andere macht sich noch eine Flasche Püls auf, davon ist genügend vorhanden, und guter Dinge fahren wir in Richtung Heimat davon. Und man darf wohl mit gutem Gewissen behaupten, daß es ein herrlicher Tag war – nicht nur des schönen Wetters wegen, sondern besonders deshalb, weil wir neue Freunde gefunden haben.

Eddy Bleyer